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Die Haarenniederung und ihre Vogelwelt

von Otto Urban

Wer an einem sonnigen Frühlingsmorgen mit offenen Augen und Ohren einen Spaziergang durch Wechloy macht, sei es am Drögen-Hasen-Weg mit der Haaren zur Linken oder aber er wendet seine Schritte mehr zur Rechten, wo sich in bunter Abwechslung Acker, Gehölze, Weiden, Höfe oder Wohnhäuser befinden, der wird überall ein reichhaltiges Vogelkonzert hören, wie selten in der näheren Umgebung Oldenburgs. In der Haarenniederung und über den Weiden an der Heetang führt der Kiebitz das große Wort. Es sieht possierlich aus, wenn er zwischen Grasbülten still steht mit erhobenem Kopf, der von einer Holle geziert wird, als ob er auf etwas lausche. Dann läuft er unvermittelt einige Meter weiter, bleibt wieder stehen, neigt den Kopf, beobachtet und stößt plötzlich mit seinem Schnabel in die Grasnarbe, wo er einen Wurm oder einen sonstigen Leckerbissen entdeckt hat. Er tut so, als ob er uns nicht bemerkt habe. Aber in Wirklichkeit sah er uns schon, ehe wir ihn sahen, und läßt uns nicht aus den Augen. Wir versuchen, näher heranzukommen. Aber das ist ihm zuviel. Er erhebt sich in die Luft mit einem gaukelnden Flug, läßt sein lautes Kiewitt erschallen, wirft sich von einer Seite auf die andere und fliegt auf uns herab und dicht über uns hinweg, so daß wir vor den sausenden, fuchtelnden Flügelschlägen erschrecken. Er muß wohl sein Nest in der Nähe haben, oder seine Jungen, die irgendwo im Grase laufen, sind noch nicht flügge. Er ist von allen Vögeln hier der erste, der seine Brut aufzieht; und man kann damit rechnen, daß es einen nassen Sommer gibt, wenn er sein Gelege auf den höchstgelegenen Stellen unterbringt. Scheinbar ist dieses Jahr nichts zu befürchten. Ich zähle auf der Heetang etwa 6 Paare. Es gab einige Jahre, wo er ausgestorben schien. Aber jetzt hört man wieder jedes Jahr sein fröhliches Kiewitt.

Die Wiesen zwischen dem Quellenweg und dem Drögen-Hasen-Weg, dort wo der Heidberg, der Voßberg und Bäkehöchde als Inseln aus der Niederung herausragen, ist die Heimat der Bekassine, oder wie sie auf plattdeutsch genannt wird, de Himmelszeeg. Dort ist so recht Gelände nach ihrem Geschmack. Der Untergrund ist moorig, so daß der Vogel mit dem ,,langen Gesicht" nach Herzenslust mit dem Schnabel nach Gewürm herumstochern kann. Da es ein ausgesprochenes überschwemmungsgebiet ist, hat sich dort eine eigene Pflanzenwelt gebildet aus mehr oder weniger sauren Gräsern, Rüschen, Wiesenschaumkraut, Sumpfdotterblumen usw. Als Überbleibsel aus früheren Zeiten zieht sich das tote versumpfte Bett der alten Haaren hindurch mit Reith, Wasserlilien und gelegentlichen Lampenputzern; und in dieser uralten Haarenniederung ist die Bekassine zu Hause. Ihre Ahnen dürften hier schon gewohnt haben, als noch kaum die ersten Menschensiedlungen hier entstanden. Obwohl ihr kleines Reich schon ringsum von modernen Straßenzügen mit Häuserzeilen, Autoverkehr und elektrischer Beleuchtung eingekreist ist, hängt sie mit rührender Liebe an dieser ihrer Heimat und kehrt jedes Frühjahr aus Afrika, wo sie im Schlamm des Nils ihre Nahrung suchte, auf diesen Platz zurück. Wenn hier im Frühjahr die alten bleichen Grashalme des Vorjahres und die trockenen braunen Binsen, die der Winter zusammenpreßte, sich mit den wachsenden frischen Blüten vermischen, dann kann selbst ein Rohrwey eine Bekassine, die sich an den Boden drückt, kaum erkennen. Ihr brauner und schieferfarbener Rücken gleicht dann dem Sumpfboden. Das weiß sie auch und verhält sich ruhig, wenn ein Mensch naht. Das geübteste Auge entdeckt sie dann nicht. Andere kleine Sumpfvögel, sowie der Kiebitz, pflegen vor den Füßen des Wanderers einherzulaufen oder ihn mit ängstlichen Rufen dicht zu umfliegen, wenn sie ihre Jungen in der Nähe haben. Hier treibt nun die Bekassine ihr heimliches Wesen im Gras auf Nahrungssuche, und nur selten, meist gegen Abend, sitzt sie wohl mal auf einem Pfahl oder dem Mast der Hochleitung und ruft ihr uhrengleiches tick-a--tick-a-tick-a. Es lautet wie eine taktfeste Uhr, kommt nirgendwo her und ertönt doch von überall. Der Tag geht zu Ende, die anderen Vögel kommen zur Ruhe; auch der Wanderfalke, der sie greifen könnte. Dann steigt das Bekassinenmännchen mit einem scharfen Flügelschlage in den Abendhimmel, macht zunächst eine Runde um das Weibchen, das ihm bewundernd zusieht, und steigt dann weiter mit so schnellen Schwingenbewegungen, daß das Auge nicht folgen und es nur noch gegen den hellen Westhimmel erkennen kann. Dort zieht es seine Runden über der Wiese. Zwischendurch läßt es sich im Sturzflug steil nach unten fallen, so daß der Fahrwind in seinen Schwanzfedern ein meckerndes Geräusch erzeugt, das in der ganzen Gegend widerhallt, und wiederholt das so die halbe Nacht, bis dann aus der Wiese das dünne tick-a--tick-a----tick-a des Weibchens ertönt. Wie hoch dann die Bekassine auch in den Wolken sein mag, so stürzt sie augenblicklich im sausenden Sturzflug meckernd nieder. Nach dieser Freiersfahrt der Bekassine wird es plötzlich wieder leer und lautlos über der Wiese. Die Bekassine ist das größte Kleinod der Haarenwisch; und da diese unter Landschaftsschutz steht, werden wir uns noch lange an dem Treiben der Bekassine erfreuen können.